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Adlershofer Spaziergang 2026

Im Herbst 2016 ist der folgende Text entstanden, der auf markante Art die Umgestaltungswünsche für den Ortstteil in den nächsten 10 Jahren zusammenfasst.

Die zentrale Figur ist "Horst Adler", der im Jahre 2026 einen Spaziergang durch Adlershof unternimmt.

Da am 13. Mai 2017 der Tag der Städtebauförderung stattfindet, passt dieser Text wunderbar als Vorbereitung für die Podiumsdiskussionen.

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Mein Name ist Horst – Horst Adler. Wie Sie richtig vermuten, bin ich nicht mehr ganz jung – ich kenne Adlershof noch von früher … ganz anders als die vielen jungen Leute, die jetzt zum studieren, wohnen oder entspannen nach Adlershof kommen.

Neulich sprach ich mit einer jungen Mutter, die mich fragte, wie wir früher in Adlershof „überhaupt leben konnten“ – aber ich erzähle mal der Reihe nach …

… wir saßen beide in einem der zahlreichen Straßencafes in der Dörpfeldstrasse, als ihr Handy klingelte. Ihr Babysitter hatte den Abenddienst bestätigt – jetzt stand einem entspannten Abend nichts mehr im Weg. Sie erklärte mir, was daran so bedeutend war.

Gestern hatte sie auf der Homepage „theater.inadlershof.de“ einen tollen Künstler entdeckt und online gleich Karten bestellt. Zwei Klicks weiter fragte sie bei der Nachbarschaftshilfe nach einem Babysitter. Das lief so unkompliziert, dass sie sich wunderte, wie Adlershofer Mütter das früher – ohne die Adlershof-Homepage – überhaupt regeln konnten.

Heute früh war sie einkaufen, und da sie jetzt – nach dem Einkauf – ohne schwere Taschen neben mir im Café saß, fragte ich sie, wie das geht. „Na, der Adlershofer Lieferservice, kennen Sie den nicht?“

… offensichtlich geht das ganz einfach: man kann im Geschäft oder auf der Homepage einen individuellen Lieferservice bestellen. Bis zu einem Gesamtgewicht von 20 Kg gibt es sogar eine monatliche „Flatrate“ – einmal monatlich Geld bezahlen, und schon bestellt man diesen Service so oft man will. Ein Fahrradkurier, der den ganzen Tag durch Adlershof fährt, erledigt den Rest. Die Kosten werden geteilt: die Kunden bezahlen einen Teil, die Händler den zweiten Teil, der dritte Teil wird durch das Förderprogramm „autofreie Innenstadt“ übernommen.

Auf die gleiche Art wird übrigens das „Adlershof-Ticket“ bezahlt: ein Kurzstrecken-Fahrschein für Bus und Strassenbahn. Dieser wird von den Menschen in der Wissenschaftsstadt viel benutzt: innerhalb von wenigen Minuten sind sie damit in der Dörpfeldstrasse und geniessen dort ihre Mittagspause.

Nach unserem Kaffee habe ich die junge Mutter noch bis zum Marktplatz begleitet – dort ist mein Lieblingsplatz, direkt neben der Rosenhecke. Nein, nicht wegen der Rosen, sondern wegen dem Bouleplatz … ein wenig Sport in meinem Alter muß schon sein :-)

Dort beim Boulen habe ich vor 3 Wochen auch Tina Zobel wiedergetroffen. Sie arbeitet inzwischen beim Senat und kümmert sich – es scheint ihr im Blut zu liegen – um die Stadtentwicklung. In Adlershof war sie damals eine der engagiertesten Mitarbeiterinnen vom Bezirksamt. Wir nannten sie scherzhaft immer „die graue Eminenz“ – ohne sie hätte es weder den Startschuss für die Umgestaltung des Ortsteils noch die Rettung der Einkaufsstrasse gegeben.

Tina kam gerade aus der Marktpassage. Diese war bis 2018 so verfallen, dass das Ordnungsamt mit der kompletten Schliessung wegen massivem Schädlingsbefall drohte. Erst dann bequemte sich der Investor. Das Bezirksamt hatte glücklicherweise einen B-Plan in der Schublade, sodass keine Spielhallen-Bordell-Vergnügungseinrichtung daraus entstanden ist, sondern das, was der Name verspricht: eine angenehme Passage.

Früher habe ich dort selbst immer gerne meine Suppe zum Mittag gegessen – jetzt gibt es sogar einen regionalen Fischer, der täglich frischen Fisch anbietet.

Gemeinsam mit Tina hatten die Vertreter der Bürgergruppen das „Adlershofer Modell“ entwickelt. Auf Grund dessen konnte Tina natürlich auch mehr Fördergeld beantragen. Aber das war nicht alles: sie erzählte mir, dass engagierte Bürger damals sehr viel Idealismus und Ausdauer brauchten – dadurch verliefen zahlreiche Bürgerinitiativen im Sande.

Allein die einfache Pflege einer Baumscheibe durch zwei Hobbygärtner konnte schnell in einem Schildbürgerstreich enden. Sie erzählte von Pankow, wo 2015 offiziell durch das Bezirksamt die Pflege eines kleinen Beetes verboten wurde, weil „nicht der richtige Antrag gestellt wurde“. Zum Glück, erzählte mir Tina Zobel, haben wir jetzt das ABE (Amt für bürgerschaftliches Engagement) – dort geht man als Bürger hin, nennt sein Anliegen und bekommt sehr unbürokratisch 2 Wochen später eine offizielle Genehmigung. Der Ortsteil blüht seitdem durch eine Fülle kleiner Ideen auf – kleine Feste, saubere Strassen, tolle Blumenbeete und viel Lokalkultur. Und natürlich ist dadurch auch der Bouleplatz immer gepflegt.

Vom Marktplatz aus steige ich gerne in die Strassenbahn und fahre zwei Stationen bis zum Bahnhof. Dort – direkt neben dem grossen Stadtplan von Adlershof – traf ich neulich einen seltenen Gast: den Chef der Firma „Jumplight“ – damals war er an der Umsetzung verschiedener Planungsabschnitte in Adlershof beteiligt.

Jetzt war er ganz angetan von der komplexen Logik der Verkehrsführung. Er zeigte auf den Stadtplan und erzählte vom Senatsbeschluss im Jahre 2012, der einen Rückbau des Adlergestells vorsah. Er erzählte mir von dem Ziel der „autofreien Innenstadt“, die nach der Abgeordnetenhauswahl 2016 ganz oben auf der Agenda stand und von der Idee, mit wenig Geld viel erreichen zu können. Das Adlergestell hatte damals beidseitig 3 Spuren, jeweils 1 Spur wurde 2018 in Parkplätze umgewandelt. Da der Bahnhof Adlershof eine sehr dichte Zugfolge in Richtung Innenstadt hat, wurden viele Autofahrer überzeugt, ihre Autos am Adlergestell abzustellen und per Zug weiterzufahren. Auch der Ortsteil profitierte davon: viele Nebenstrassen wurden durch diese Parkmöglichkeit entlastet, sodass man direkt neben der Dörpfeldstrasse zahlreiche Kurzzeitparkplätze einrichten konnte. Dies wiederum bot die Möglichkeit, die Dörpfeldstrasse vom größten Verkehrshindernis zu befreien: dem illegalen Parken. Die Enge der Dörpfeldstrasse wäre nie ein Problem gewesen, wenn sich jeder Verkehrsteilnehmer an die Verkehrsregeln gehalten hätte – „aber wer macht das schon“ fragte er mich. Heute verhindern 4 Maßnahmen das illegale Parken in der Dörpfeldstrasse: die Zweigleisigkeit der Strassenbahn, zahlreiche Stadtmöbel direkt an der Bordsteinkante, viele alternative Parkmöglichkeiten und natürlich das Adlershofticket.

Apropos Strassenbahn, erwiderte ich. Wußten Sie, dass es 2019 einen tödlichen Unfall gegeben hat? Ein Fahrrad rutsche in die Strassenbahnschiene, da es bei Regen einem illegal parkenden Auto ausweichen mußte. Gleichzeitig rannte ein Kind auf die Fahrbahn – der Radfahrer wollte ausweichen, fiel hin und schlug mit dem Kopf auf die Schienen.

Zum Glück entstanden 2019 keine großen Sonntagsreden, sondern ein praktischer Entschluss: Frau Zobel hatte gerade Geld für das Adlershofer Modell bewilligt bekommen und plante gemeinsam mit der BVG ein Pilotprojekt für Strassenbahn-Füllprofile … ein Traum für jeden Fahrradfahrer.

Und schon war der Chef von „Jumplight“ beim Radverkehr. „Wissen Sie, Horst“ sagte er, „im nördlichen Teil der Dörpfeldstrasse einen Fahrradweg zu bauen, war kein Problem“. Aber zwischen Marktplatz und Bahnhof wurde eine zusätzliche Strassenbahnhaltestelle gebaut. Dazu mußte der Bordstein erhöht und Richtung Gleis vorgezogen werden. Ein Radweg hatte so keinen Platz. Und über den Fußweg konnten wir den Radweg nicht schwenken, da dieser zu schmal war – schliesslich sollte die Dörpfeldstrasse keine Wohngebietsstrasse, sondern eine lebendige Einkaufstrasse werden. Und so verbesserten wir das, was seit 20 Jahren bereits Realität war: dass sich Radfahrer, Autofahrer und Strassenbahn die Fahrbahn teilen. Durch die dichte Zugfolge der Tram und die konsequente Durchsetzung von Tempo 30 hatten die Fahrräder sowieso keine Probleme mehr.

Nach unserem Gespräch gingen wir beide auf den S-Bahnhof und genossen zum Abschied den schönen Ausblick: aus den Seitenstrassen lehnten sich prächtige Bäume in die Dörpfeldstrasse, die Strassenlaternen waren mit wildem Wein bepflanzt und kleine Blumenbeete hellten wie bunte Punkte die Straße auf. Dazwischen schlenderten zahlreiche Menschen. Da es langsam dunkel wurde, sahen wir auch den Laserstrahl, der den Weg der Dörpfeldstrasse nachzeichnete und schliesslich auf den Marktplatz gelenkt wurde – ein imposanter Anblick.

Zur Geschichte: dies sind fiktive Spaziergänge entlang der Dörpfeldstrasse im Jahre 2026. Die genannten Details entsprechen dem Möglichkeitskatalog, den die momentane Umgestaltung des Ortsteils bietet. Der Autor – Andreas Paul von „die FotoGrafen“ aus der Dörpfeldstrasse – ist bei zahlreichen dieser Themen engagiert.